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Stadtteilarchiv Ottensen/Kurt J. Scheffer
Ottensen

Die Chroniken von Ottensen: Zu Besuch im Stadtteilarchiv

Katharina Grabowski
Katharina Grabowski

Getreu dem Motto "Grabe, wo Du stehst" erforscht das Stadtteilarchiv Ottensen seit vielen Jahrzehnten die Geschichte des Stadtteils – und gewährt spannende Einblicke in die Vergangenheit des Viertels.

Dass die Geschichte der Hansestadt Hamburg heute so gut dokumentiert ist, haben wir auch den 22 Geschichtswerkstätten zu verdanken, die über das gesamte Stadtgebiet verteilt sind und lokale Forschung und Dokumentation betreiben. Die erste dieser Geschichtswerkstätten gründete sich 1980 in Ottensen. Den Anlass dafür gab die Ausstellung "Zur Geschichte eines Stadtteils", die im selben Jahr im Altonaer Museum stattfand. Aus der Projektgruppe, die diese Ausstellung erarbeitet hatte, gründete sich schließlich ein Verein, der zunächst zum Nationalsozialismus weiterforschte, seinen Blick aber auch bald auf andere Themen des Viertels richtete. In Zusammenarbeit mit den Bewohnern des Stadtteils entstand so bald eine Sammelstelle zur Geschichte und Gegenwart, die seit 1985 in den Werkstätten der ehemaligen Drahtstifte-Fabrik ihre Heimat hat. Heute befindet sich in den historischen Räumen eine umfangreiche Sammlung von Fotos, Büchern, Dokumenten und Zeitungsartikeln zur Geschichte des Viertels, die jedem Interessierten zum Forschen und Stöbern zur Verfügung steht.

Das Vorbild für dieses Projekt zur Aufarbeitung der Geschichte kam aus Großbritannien und Schweden. Hier hatte in den 1960er und 1970er Jahren die sogenannteoral history, also die Befragung von Zeitzeugen und Interviews, Einzug in die Forschung und Geschichtsschreibung gefunden. Ein schwedisches Buch mit dem Titel "Gräv där du star" ("Grabe, wo du stehst") hatten die Ottenser kurzerhand zu ihrem Motto "Dokumentieren Sie Ihren Stadtteil, solange er noch steht!" umgemünzt.

Aus Ottensen wird City West?

Und dass Ottensen heute noch steht, ist gar nicht so selbstverständlich. In den 1960ern gab es nämlich Pläne, aus dem Industrie- und Arbeiterviertel ein modernes Geschäftszentrum inklusive Autobahnzubringer zu machen – ganz nach dem Vorbild der City Nord. Doch dass die Investorenpläne für die City West scheiterten, lag vor allem am beherzten Einsatz der Ottenser, die gegen die Pläne mobilmachten und in zahlreichen Initiativen gegen den Abriss kämpften. Mit Erfolg, wie wir heute wissen.

Dies ist nur eine der vielen Geschichten, die das Stadtteilarchiv bereithält. Dutzende von ihnen hat Michael Sandmann parat, der einer der zwei festen Mitarbeiter des Archivs ist. Auch wenn die Themen Sanierung und Gentrifizierung in den vergangenen Jahren in den Fokus der Aufarbeitung gerückt sind, war Ottensen immer auch Wirkungsstätte für viele Dichter und Denker. Unter ihnen etwa Friedrich Gottlieb Klopstock, wichtiger Wegbereiter der Bewegung des Sturm und Drang, der viele Jahre in Hamburg verbrachte und auch hier beigesetzt wurde. Auch Heinrich Heine war dem Viertel verbunden. Sein Onkel Salomon, angesehener Mäzen der Stadt und Ur-Ottenser, finanzierte dem jungen, noch unbekannten Dichter Mitte des 19. Jahrhunderts sein Studium und half ihm immer wieder mit kleinen Finanzspritzen auf die Beine.

 "Kiek mol" – Geschichte hautnah erleben

Für alle Interessierten, die sich auf der Suche nach spannenden Geschichten nicht durch unzählige Bücher, Fotografien und Dokumente wühlen möchten, bieten die Geschichtswerkstätten mit dem Programm "Kiek mol" regelmäßig Stadtteilrundgänge an, bei denen man mit Experten durchs Viertel spaziert. Das Themenspektrum ist dabei breit gefächert: Es reicht vom Rundgang für Neu-Ottenser über eine Führung durch Ottensens Vergangenheit als Industriestandort bis hin zum Thema hafenbezogene Frauenarbeit und Frauengeschichte in Ottensen.
Infos: Stadtteilarchiv Ottensen, Zeißstraße 22-28, 22765 Hamburg