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Hammerbrook

Das Kraftwerk Bille: Hammerbrooks Kultur- und Gewerbezentrum

Maike Schade
Maike Schade

Verstaubte Hallen, rissige Mauern, rauer Charme: Aus dem ehemaligen Industriekomplex soll ein lebendiger Begegnungsort werden. Was ist – und was werden soll.

Durch einen tunnelartigen Torbogen geht es in einen kleinen Innenhof. Altes Gemäuer, über und über von Weinranken bewachsen. Sogar die Fenster sind teilweise unter den grünen Blättern verschwunden. Es wirkt wie der Hof des Dornröschenschlosses, verträumt, verwunschen. Doch weit gefehlt. Märchenhaft oder gar hochherrschaftlich ist hier nichts: Es ist das alte Kraftwerk Bille in Hammerbrook. Wachgeküsst soll es dennoch werden.

MIB Coloured Fields will die Gebäude zu neuem Leben erwecken

Denn der riesige, rund 100 Jahre alte Gebäudekomplex, der ursprünglich ein Kohlekraftwerk war, steht schon seit langem leer. Geändert werden soll das vom Leipziger Projektentwicklungsunternehmen MIB Coloured Fields, das sich auf leerstehende Industriegebäude – gerne unter Denkmalschutz – spezialisiert hat und daraus lebendige Kultur- und Gewerbezentren formt. So geschehen beispielsweise mit dem riesigen, ehemaligen AEG-Werk in Nürnberg oder der Baumwollspinnerei in Leipzig. In letzterer haben zahllose Künstler und Kunsthandwerker ihre Ateliers und Werkstätten, Eventräume, Gastronomen und auch Übernachtungsmöglichkeiten runden das Ganze ab.

Die zentrale Lage ist optimal

Etwas ähnliches soll auch im Kraftwerk Bille entstehen, das MIB Coloured Fields Anfang 2015 gekauft hat. Die Lage mitten in Hammerbrook, erklärt Projektmanagerin Frauke Woermann, ist optimal: Der Hauptbahnhof ist nur eine S-Bahn-Station entfernt, "eigentlich ist das hier noch Innenstadt". Davon ist freilich nichts zu merken: Hier, in der Umgebung des Bullerdeichs, gibt's nur Industriebetriebe, Hallen, Schuppen, wenige Mietshäuser, die mäßig einladend aussehen. Menschenleer wirkt es, verlassen und stellenweise etwas schrabbelig. Die Anbindung ans öffentliche Verkehrsnetz ist, sagen wir mal, ausbaubar. "Die Stadt hat den Osten lange vernachlässigt", meint Woermann. Doch auch das ändert sich gerade, das Potenzial wurde längst erkannt, rundum entstehen neue Quartiere wie auf dem Grasbrook oder auch der Nördlichen Elbinsel von Wilhelmsburg. Oberbillwerder soll komplett umgestaltet werden. Auch in der HafenCity gibt es diverse Bauprojekte.

Schon jetzt finden temporär Veranstaltungen statt

Das lebendige, kreative Herzstück dieses im Aufbruch begriffenen Viertels soll, wenn es nach MIB Couloured Fields geht, das Kraftwerk Bille werden. Schon jetzt werden die Räumlichkeiten temporär vermietet – an Firmen, die hier Präsentationen abhalten, an Künstler für Tanzperformances oder Ausstellungen, als Drehort für Film- und Fernsehproduktionen. Auch der Hamburger Architektursommer war hier mit Installationen und Ausstellungen zu Gast. Und die "Hallo: Festspiele" des gleichnamigen "HALLO: Verein zur Förderung raumöffnender Kultur e.V.". Daraus ging 2016 das experimentelle Stadtteilbureau Schaltzentrale hervor, das seine Heimat derzeit ebenfalls im Kraftwerk Bille hat.

Der Plan: Ein Bootsshuttle zur S-Bahn

Insgesamt 12.800 Quadratmeter nutzbare Fläche liegen in dem alten Backsteingemäuer brach, verteilt auf fünf zusammenhängende Gebäude plus Außenflächen. Eine davon liegt direkt an der Bille – hier soll eine bewirtschaftete Terrasse entstehen, vielleicht ein Ponton direkt auf dem Wasser mitsamt Bootsshuttle zur S-Bahnstation Hammerbrook und dem Berliner Tor. Der Blick aufs gegenüberliegende Zementmischwerk ist speziell – aber er hat was und passt zum rauen, industriellen, urbanen Charme der Räume.

Verstaubte Dornröschensäle

Die auch im Inneren an Dornröschen erinnern. Staub tanzt in den Sonnenstrahlen, die sich durch die schmutzigen, beschmierten oder teils auch zerbrochenen Scheiben hineinstehlen. Der Putz blättert von den Wänden, der nackte Backstein guckt hervor, von Rissen durchzogen. Rost nagt an den großen Stahltüren und -trägern. Dennoch ist die Wirkung der großen, ehemaligen Maschinenhallen bedrückend. Hohe Decken, riesige Fenster. Im "Ballsaal", wie das frühere Zählereichwerk intern liebevoll genannt wird, sind sie oben sogar rund – er erinnert tatsächlich an einen. Ein Rohdiamant, dieser Gebäudekomplex. An dem noch viel geschliffen werden muss.

Wirklich alles muss saniert werden

"Es muss alles neu gemacht werden: die Böden, die Wände, die Decken, die Fenster, die Elektrik, die Heizung", sagt Frauke Woermann seufzend, "wir erleben hier immer wieder schmerzhafte Überraschungen". Auch die Statik ist hier und da fragwürdig, genau wie die Brandschutz- und andere Sicherheitsvorkehrungen, die quasi nicht existent sind. Das klingt, als könnte man das Ganze besser einfach neu bauen? "Ja, im Prinzip schon. Aber dann wäre es nicht mehr so schön alt."

Die Kosten: ein "satter" zweistelliger Millionenbetrag

Und das soll es aber bleiben. "Wir versuchen, den Charme und Charakter der Gebäude so weit wie möglich zu erhalten", erklärt die Projektmanagerin. Einfach wird das nicht werden. Und auch nicht günstig. "Wir sind immer noch am kalkulieren, aber es wird mit Sicherheit ein satter zweistelliger Millionenbetrag dabei herauskommen." Sie hofften auf finanzielle Unterstützung der Stadt, die ja auch ein Interesse an der Aufwertung Hammerbrooks haben müsse, sagt sie.

Eine Mischnutzung aus Gewerbe, Kunst und Kultur

Eine fast ausschließlich kulturelle Nutzung der Räumlichkeiten wie in der Leipziger Baumwollspinnerei hält sie aber nicht für möglich: "Wir brauchen hier definitiv Gewerbetreibende, die dann quasi die Künstler und Kreativen mitsubventionieren, die solch hohe Mieten nicht bezahlen können.

Die zentrale, große Kesselhalle mit der umlaufenden Galerie wird schon jetzt als Veranstaltungshalle genutzt, und das soll auch künftig so bleiben. Große Konzerte werden hier aber nicht stattfinden, erklärt Woermann, allein schon aus Schallschutzgründen. Die ehemalige Kohlehalle, bislang ein Ensemble aus zwei großen Sälen, soll unterteilt werden. Oben könnten Büros sein, unten Galerien oder Gewerbe mit offenen Verkaufsflächen sowie ein gastronomischer Betrieb. Im Zählwerk könnten beispielsweise Büros für Kreative entstehen – Werbeagenturen, Architekten, Designer.

Auch ein kleines Designhotel ist angedacht

Das ehemalige Wohnhaus für Kraftwerksmitarbeiter an der Ecke, von dem nur noch das Erdgeschoss steht und in dem die Schaltzentrale zuhause ist, könnte eventuell abgerissen und als kleines Designhotel neu aufgebaut werden. Schließlich soll das Kraftwerk Bille nicht nur Arbeitsstätte und Begegnungsort für Hamburger sein, sondern durchaus auch ein Ort von nationaler Strahlkraft. Kongresse könnten hier stattfinden. Große Werksschauen. Präsentationen.

Doch noch träumen die Backsteinmauern, aus deren Wänden in zehn Metern Höhe Birken sprießen, vor sich hin. 2020 soll die Sanierung in und an den ersten Gebäuden beginnen, vermutlich bei der zentralen Kesselhalle, "die Taktung ist noch nicht ganz klar". 2021 könnten die ersten Räumlichkeiten dann in neuem Glanz erstrahlen. Zu neuem Leben erweckt. Wachgeküsst.


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