
Leidenschaftliche Laien: Die Volksspielbühne Rissen
Seit 1955 bringen Theaterbegeisterte aus Hamburgs Westen jährlich drei Stücke auf die Bühne. Besonders wichtig ist ihnen der Kinderschutz.
Es sieht aus wie auf dem Dachboden der Villa Kunterbunt. Alte Sessel und Sofas stehen herum, Stühle stapeln sich, mit Armlehnen und ohne, helles Holz und dunkles, mit Stoffbezug oder geschnitzten Ornamenten. Reihenweise Hemden, prachtvolle Kleider und Haushaltskittel, Uniformen und Hosen hängen an langen Garderobenstangen, darüber Vasen, alte Koffer, Taschen und Körbe, Geschirr aus Großmutter Zeiten, Kochtöpfe, ein Plattenspieler und Hutschachteln. Fehlt nur noch, dass das Äffchen Herr Nilsson plötzlich von einem der Regale gesprungen kommt. Doch wir befinden uns nicht in der Villa Kunterbunt, sondern in der “Dependance” der Volksspielbühne Rissen. Hier ist der Fundus der Laien-Theatergruppe untergebracht. Auch die Jugendgruppe, die “Nesthocker”, probt hier.

Seit 1955 gibt es die Volksspielbühne Rissen
Es ist ein hoher Dachboden mitten im Ortszentrum; die Decke ist blau gestrichen, die Wände sind über und über mit Postern und Fotos früherer Produktionen bedeckt. Da hat sich einiges angesammelt. Die Volksspielbühne Rissen gibt es nämlich seit 1955, und jedes Jahr bringt die engagierte Truppe drei Stücke auf die Bühne. Eines im Frühjahr, eines im Herbst und eines zur Weihnachtszeit.

"Welches Stück gespielt wird, entscheidet der Regisseur", erklärt Thorsten Junge, Vorsitzender des Theatervereins. "Und Regisseur kann jeder sein, der möchte und sich das zutraut." In der Regel müssen die Stücke umgeschrieben und angepasst werden, damit die Laienschauspieler das Ganze auch umsetzen können – die Dramaturgie erstellt dann häufig eine "Regie-Gruppe", die gemeinsam das Skript erarbeitet.
Die "Nesthocker" bringen sich das Handwerkszeug bei
Auch die Nesthocker, die gerade in der Dependance eine italienische Komödie proben, erarbeiten ein selbst bearbeitetes Stück. "Wir haben da quasi zwei Stücke zu einem gemacht", erklärt Thorsten, "und zwar so, dass die Darsteller was haben, woran sie üben können. Also beispielsweise böse sein – wie gucke ich da, wie muss meine Körpersprache sein?"

Einige Ohnsorg-Schauspieler haben in Rissen begonnen
Er selbst und seine Frau Ute, die Regie führt, geben den Kids viele Tipps. "Ich habe das zwar nie richtig gelernt, spiele aber schon so lange Theater, dass ich mittlerweile weiß, wie es geht. Ich habe das wohl intuitiv richtig gemacht", sagt Thorsten. Nicht nur, was den Ausdruck angeht, sondern auch die Stimmtechnik. Gelegentlich holt sich die Volksspielbühne Rissen aber auch professionelle Hilfe: von ehemaligen Mitgliedern, die mittlerweile Schauspiel studiert haben und als Profis arbeiten. Zum Beispiel Christian Richard Bauer oder Hanka Schmidt vom Imperial- beziehungsweise Ohnsorg-Theater. "Die haben bei uns angefangen", erklärt der Volksspielbühnenchef stolz, "und geben dann bei uns Kurse, beispielsweise in Phonetik oder auch Plattdeutsch."
Kinder können bei den "Bühnenküken" Theater spielen
Als "Bühnenküken" können Kinder bei der Volksspielbühne erste, spielerische Theatererfahrungen sammeln. Einmal wöchentlich wird geprobt und das neu erworbene Können dann beim internen Sommerfest vorgeführt. Hier hatten im Sommer 2018 auch die "Bühnenspatzen" ihren letzten Auftritt: Die Gruppe der jüngsten Schauspieler musste nach sechs Jahren aus personellen Gründen wieder aufgelöst werden.
Kinderschutz hat einen großen Stellenwert
Dennoch hat die Kinder- und Jugendarbeit – es gibt ja auch noch die jugendlichen "Nesthocker" – einen hohen Stellenwert im Rissener Theaterverein. Genau wie der Schutz der jungen Schauspieler. "Kindeswohlgefährdung ist ein Thema, auf das wir ein besonderes Augenmerk legen", erklärt Thorsten Junge. "Alle leitenden Vereinsmitglieder haben Workshops des Kinderschutzbundes besucht und sind darin geschult, eventuellen Kindermissbrauch oder -misshandlungen zu erkennen und richtig darauf zu reagieren. Außerdem musste jeder ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen." Einen Auslöser dafür gab es nicht, sagt der Vereinschef, "es ist doch selbstverständlich, hinzuschauen. Wir wollen sicherstellen, dass es so etwas bei uns nicht geben kann." Mit Vereinsmitglied Stephanie Ganske vom Kinderschutzbund Hamburg gibt es sogar einen kompetenten Ansprechpartner.
"Hinter jedem auf der Bühne sind zehn im Hintergrund"
Die Nesthocker, also diejenigen, die noch nicht so weit sind, dass sie sich wirklich auf die "große" Bühne trauen, erarbeiten aber durchaus eigene Produktionen für interne Vorführungen und wer will, wirkt auch bei der jährlichen Aufführung des Weihnachtsmärchens mit. Die beiden anderen großen Produktionen im Frühjahr und Herbst sind aber der Erwachsenen-Truppe vorbehalten. Meist sind es sieben oder acht Schauspieler, die dann auf der Bühne in fremde Rollen schlüpfen, sie proben zweimal wöchentlich in der Schule am Iserbarg. Insgesamt hat der Verein an die 80 erwachsene Mitglieder – gut so, "denn für jeden auf der Bühne brauchst du ja zehn im Hintergrund", erklärt Thorsten. Bühnenbau, Maske, Kostüme, Werbung, Verwaltung, all das muss ja auch erledigt werden.
Seit 1970 wurde auf Plattdeutsch gespielt
Im Frühjahr 2019 (Premiere ist am 30. März) führt das Ensemble das Stück "Ficus Fatale" auf. Ein hochdeutsches Stück, genau wie 2018 "Keine Leiche ohne Lily", eine Koproduktion mit dem Altonaer Theater, bei der Thorsten Junges Ehefrau Ute ("ohne die ginge es gar nicht!") Regie führte. Bis dahin waren alle Stücke der Volksspielbühne seit den 1970er-Jahren auf Plattdeutsch inszeniert. Im Herbst folgt dann das Stück "Currywurst mit Pommes", bei dem beliebig viele kleine Rollen eingefügt werden können. Falls ihr also Lust habt mitzumachen: nichts wie hin!
Infos: Volksspielbühne Rissen, Gudrunstr. 45, 22559 Hamburg
Was für ein Theater: Noch mehr Tipps
Eine ganz besondere Bühne ist auch das Schmidts Tivoli mit frechen, kreativen Inszenierungen im ehrwürdigen Haus an der Reeperbahn. Unterhaltung fernab des Mainstreams mit Theater, Tanz und Konzert bietet die Kulturfabrik Kampnagel in Winterhude.