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Mathias Thurm
Hamburg

Kleine Letternpresse: In Eppendorf wird euch Druck gemacht

Ilona Lütje
Ilona Lütje

In der Kleinen Letternpresse in Eppendorf verhilft Achim Wittrin altem Handwerk zu neuem Leben: mit Kreativität, der Liebe zu Buchstaben und nordischem Humor. Wer auf der Suche nach originellen Geschenken ist, ist bei dem Drucker in guten Händen.

Schon auf der Straße ist er zu ­hören: Bruce Springsteen schallt laut durch den Laden an der ­Ludolfstraße, es riecht nach Druckerfarbe, Blei und Holz. Achim Wittrin legt die farbbeschmierte Walze zur Seite, wischt sich die Hände an der Jeans ab und dreht die Musik leiser. "Das hier ist ein Rentnerladen", sagt er lachend. Hier könne er so laut Musik ­hören, wie er wolle. Doch Rockmusik ist nur die zweite große Leidenschaft des 71-Jährigen. Vor allem Buchstaben lassen sein Herz höher schlagen. Die Begeisterung für Schriften ist unübersehbar: Der kleine Laden an der Grenze zwischen Eppendorf und Winterhude steht voller alter Druckereischränke und Setzkästen, in denen Buchstaben aus Blei und Holz fein säuberlich nach Größe und Schnitt sortiert liegen. Das Herz von "Moin mein Hamburg" sind allerdings die vier alten, massiven Letterpress-Druckmaschinen, die älteste von 1890. Mit ihnen wird noch nach alter Gutenberg-Manier von Hand gedruckt – auf Taschen, Schürzen, Postkarten, Plakaten und was dem Schriftsetzer sonst noch so einfällt.

Sehnsucht Hamburg: Eine eigene Kollektion vom Rum bis zum Salzstreuer

Eine ständig wechselnde Auswahl der schönsten Stücke landet im Schaufenster. An dem drücken sich die Fußgänger gern die Nase platt: "EPPENvillage" steht dort in großen Lettern auf einer Stofftasche neben dem "Schietbüdel", dem "Eppendorfer KULTurbeutel" und einem großen Plakat: "Und täglich grüßt das TRUMPeltier". Die Ideen sprudeln dabei meist von allein. Zu seinen neuesten Kreationen gehören Gewürzstreuer aus der Kollektion "Sehnsucht Hamburg". "Streuen alles außer Fake News", beteuert Wittrin. Dann erzählt er, wie er per Zufall zum Rumtrinker wurde. "Ich hatte einen Spirituosenhändler kennengelernt, der mich einen tollen 21 Jahre alten Rum probieren ließ. Der war extrem lecker, aber das Etikett gefiel mir nicht." Seitdem gibt es den Rum 21 auch bei ihm im Laden – mit dem eigenen "Sehnsucht Hamburg"-­Label. "Kreativ war ich schon immer", sagt Wittrin und erinnert sich an damals, als er in Kiel mitten in seiner Ausbildung zum Schriftsetzer steckte. Das war Anfang der 60er und dem jungen Lehrling wurden "Flausen im Kopf" unterstellt. Doch statt sie loszuwerden, hat er sie lieb gewonnen. "Ich lass mich nicht verbiegen", sagt er nachdrücklich. "Immer neue Wege gehen und kreativ bleiben – das ist mein Erfolgsrezept."

Hochzeitskarten und "Wörgshops"

Mit dieser Herangehensweise hat sich der Wahl-Hamburger schon mit seinem alten Laden in Hamburg einen Namen gemacht. Am Eppendorfer Marktplatz hatte Achim Wittrin 1977 "Die Drucker" eröffnet und sich schnell auf Hochzeitskarten spezialisiert – geprägte Buchstaben auf Baumwollpapier in einem perfekt aufs Paar abgestimmten Design. Der Ruf wurde schnell legendär, die Paare kamen aus ganz Deutschland angereist. Das mussten sie auch, denn "man muss das Druckerzeugnis fühlen", betont Wittrin und streicht zärtlich über eine seiner Postkarten. "Toi • Toi • Toi • Nochmal Toi", steht darauf. Und – einfach nur geprägt: "mon amour". "Damals durften auf Teufel komm raus keine Vertiefungen im Papier sein", sagt er und schüttelt den Kopf. "Heute kommen die Kunden extra deswegen zu mir."

Weg vom Digitaldruck, dem schnellen Leben, stattdessen mehr Wertschätzung und die Liebe zu altem Handwerk – Wittrin weiß genau, warum seine Druckkunst heute so gut ankommt: "Es ist die Haptik, die Menschen wollen wieder fühlen", sagt er. Ein Grund, warum auch seine "Wörgschops" so gefragt sind. Die hängt er gerade nicht mehr so an die große Glocke, denn die Warteliste ist schon lang. Maximal drei Teilnehmer lernen in acht Stunden die Grundlagen der Druckkunst und gehen hinterher stolz mit ihren eigenen Werken nach Hause.

Manchmal bleibt die Letternpresse geschlossen

Den Laden am Eppendorfer Marktplatz hat Wittrin längst verkauft. Zeit zum Ruhen will er sich aber noch lange nicht gönnen, "mindestens bis 90" möchte er noch weitermachen. "Meine Frau ist ganz froh, wenn ich was zu tun habe", sagt er, der eigentlich "niemals heiraten wollte". Mittlerweile ist er seit über 40 Jahren unter der Haube, fast 50 schon mit seiner Frau zusammen. Ihre gemeinsame Liebe ist die französische Atlantikküste, an die sie seit 1972 regelmäßig fahren – damals noch mit dem VW Käfer, heute immer noch mit Gelassenheit und viel Zeit. Die nimmt er sich, der Laden bleibt notfalls auch mal ein paar Wochen dicht, auch wenn Wittrin mittlerweile eine Kollegin hat, die dann die Stellung hält.

Von ihrem Häuschen aus machen ­sie dann Ausflüge nach Spanien und Portugal. Hauptsache Meer, schließlich ist Wittrin als gebürtiger Kieler mit den Wellen vertraut, hat auch heute noch nicht das Surfbrett eingemottet. "Wenn ich in Hamburg bin, habe ich sofort wieder Fernweh, sehne mich nach offen gegrilltem, frischem Fisch und Tomaten, die noch nach Tomaten schmecken", schwärmt er. Und so kann es passieren, dass er nur kurz Station macht in der Hansestadt. Dann hängt ein Plakat im Fenster: "Time to say Hawaii" und alle wissen: Der Achim ist wieder on tour.

Der freundliche Drucker von nebenan

"Meine Kunden haben dafür viel ­Verständnis", freut sich der 71-Jährige. Mit fast allen ist er per Du. Das verschmitzte Grinsen, die Lachfältchen und der blonde Lockenkopf lassen ihn wie einen Laus­buben wirken. Für einen Schnack ist er immer zu haben, winkt den Fußgängern am Fenster fröhlich zu. Auch die Kinder aus der Straße besuchen ihn gern regel­mäßig. So wie Juli. Der Achtjährige hat Muffins gebacken und strahlt, als er den Laden betritt. Was er später mal werden will? "Drucker natürlich!", sagt er und zeigt auf die alte Handpresse. "Das wollen alle Kinder, ­die mich hier besuchen", sagt Wittrin und ­lächelt. Ihm gefällt es, dass sich die Kids aus der Nachbarschaft wohlfühlen bei ihm. Darum hat er auch meistens Süßes im Haus. Bei Salmis mit Schokolade lernen sie dann vieles über Wittrins Schriften. Rund 200 aus Blei hat er mittlerweile gesammelt, etwa 50 aus Holz. Sie sind aus Apfel- oder Birnenholz und Wittrins ganzer Stolz. Mit ihnen druckt er am liebsten. "Die Maserungen machen die Drucke so schön lebendig." Weil alles liebevoll per Hand gedruckt wird, gleicht kein Stück dem anderen. Ohnehin legt Wittrin Wert auf Individualität. Von seinen Plakaten gibt es nie mehr als 30 Stück. Was weg ist, ist weg. "Wirr ist das Volk" läuft in diesen Zeiten gerade besonders gut.
Infos: Moin mein Hamburg / Kleine Letternpresse, Ludolfstraße 42, 20251 Hamburg; Anmeldung zu den "Wörgschops" unter 040 63 73 13 09

Lust auf DIY?

Einfach mal selber machen: Die Zeit bis zum nächsten "Wörgschop" könnt ihr auch mit anderen DIY-Ideen überbrücken. Hier sind die besten Adressen für DIY in Winterhude und Eppendorf. Es gibt aber noch mehr: Bastelstuben im Osten Hamburgs.