
kiekmo-Kolumne: Cornern in Ottensen – Fluch oder Segen?
An dieser Stelle schreibt Wahl-Hamburgerin Sophia über ihre Lieblingsorte und schönsten Entdeckungen in Ottensen und gibt ihren Senf zu Themen dazu, die das Viertel beschäftigen. Heute geht's um die Trend-Erscheinung "Cornern".
Bierflaschen klirren, Scherben knirschen unter meinen Schuhsohlen, jemand drückt neben mir seine fünfte Zigarette des Abends am Bordstein aus, in einer anderen Ecke wird laut ein Ballermann-Hit gesunden – ein ganz normaler Samstagabend am Alma-Wartenberg-Platz in Ottensen. Ich gebe es ja zu: Ich bin auch ab und zu Teil der Menschenmasse, die am Kiosk 2000 in der Bahrenfelder Straße ein Feierabendbier gegen ein bisschen Kleingeld tauscht und sich dann Schulter an Schulter mit Fremden auf dem nächsten Bordstein niederlässt. Cornern nennt man dieses Phänomen auch, abgeleitet vom englischen Wort "Corner" für Ecke. Ein ziemlich akkurater Begriff, denn Cornern ist nichts weiter als sich mit einem alkoholischen Getränk an die nächste Straßenecke zu stellen und mit seinen Freunden zu quatschen. Cornern ist schon lange keine Szene-Erscheinung mehr. Verständlich: Im (zugegebenermaßen kurzen) Hamburger Sommer lässt es sich an der frischen Luft einfach deutlich besser aushalten als in stickigen Bars, die Getränke vom Kiosk sind billiger als der 13-Euro-Cocktail von der Getränkekarte und die Stimmung ist entspannt. Kein Wunder also, dass die Ansammlung von Menschen an Hotspots wie der Kreuzung beim Grünen Jäger, der Astrastube unter der Sternbrücke oder eben dem Alma-Wartenberg-Platz immer größer wird. Der Kiosk 2000 ist längst zur Corner-Institution geworden, und die Kunden kommen nicht mehr nur aus Ottensen, sondern aus ganz Hamburg.
Gegen jede Nachbarschaftsregel?
Und hier fängt das Problem an: Denn mit fortschreitender Uhrzeit und steigender Promillezahl steigt auch der Lärmpegel an. Es wird gegrölt, Flaschen zerspringen auf dem Asphalt. Wer seiner Blase nach dem dritten Bier endlich Erleichterung verschaffen will, kommt bei den umliegenden Bars verständlicherweise nicht bis zur Toilette – man ist schließlich kein zahlender Kunde. Da wird es bei manchen eben die nächste Einfahrt. Und während sich die Kioskbesitzer über den steigenden Umsatz freuen, leiden die Gastronomiebetriebe. Die Anwohner beschweren sich über Lärm und Dreck. Es ist, als würde sich das Corner-Völkchen von grundlegenden Nachbarschaftsregeln verabschieden, sobald sie nicht mehr vor ihrer eigenen Hausecke stehen. Wer nachts wieder mit der S-Bahn nach Hause fährt, muss sich um den Alma-Wartenberg-Platz nicht mehr kümmern. Wegen der immer häufiger werdenden Beschwerden fordern die Grünen und die SPD eine Einschränkung des Alkoholverkaufs für Kioske, auch die Diskussion über ein Corner-Verbot flammt immer wieder auf. Aber ist das der richtige Weg? Menschen diktatorisch zu verbieten, sich auf öffentlichen Plätzen aufzuhalten, wird meiner Meinung nach nicht viel bringen. Protest-Cornern wurde schon zum G20-Gipfel ausgepackt, ein Verbot würde wahrscheinlich zu genau dem führen: Sitzblockaden und Corner-Aufstände. Trotzdem sollten wir uns als Corner-Anhänger öfter an die eigene Nase packen, bevor es tatsächlich irgendwann Konsequenzen gibt. Müll wieder mitnehmen, nach ein paar Getränken weiterziehen oder ab und zu mal in die vielen Hamburger Parks ausweichen, in denen es im Sommer mindestens genauso schön ist wie an der Straßenecke. Und falls man sich vom Alma-Wartenberg-Platz einfach nicht trennen kann: Die Getränke aus der Bar Aureldarf man auch auf die gegenüberliegende Straßenseite mitnehmen. So bleibt die Bar uns auch für schlechtere Wetterlagen erhalten. Cornern? Cool. Aber haltet euch an die Corner-Etikette. Wer das nicht kann, muss eben wieder vor seine eigene Haustür umziehen.